So sah das "Terminal" ... |
Flughafen Gießen -
Fliegerhorst - US-Depot - Gewerbepark
Das riesige Areal des
ehemaligen US-Depots ist nicht weit entfernt von Buseck Es reicht
bis rund 500 m an Trohe und Rödgen heran und erstreckt sich zwischen
Udersberger Straße / Rödgener Straße (im Süden) und Segelfluggelände in
der Wieseckaue (im Norden) bis zur A 485 (Gießener Ring). Es ist
eigentlich nicht das "ehemalige", sondern das aktuelle "US-Depot". Denn
dort befindet sich nach wie vor der Waren-/Güterumschlagplatz für die
Versorgung der in Europa stationierten US-Streitkräfte. Allerdings steht
der größte Teil der Fläche jetzt in Privateigentum. Ich hatte zwar davon
etwas mitbekommen. Jeder weiß ja auch, dass eine große mit Wohnblocks
bebaute Teilfläche seit geraumer Zeit für die Beherbergung von
Flüchtlingen genutzt wird. Aber Genaues wusste ich nicht.
Dann hat mir jemand erzählt,
dass er eine Führung über das Gelände mitgemacht hat ... und dass sich
dort schon zahlreiche Unternehmen angesiedelt haben. Na, wenn sich
Unternehmen angesiedelt haben, dann muss man sie ja auch besuchen können.
Ich nahm mir vor, der Sache auf den Grund zu gehen. Sollte es jetzt
tatsächlich möglich sein, ganz ohne Barrieren oder Kontrollen - einfach so
- in diesen Bereich, der seit mehr als 70 Jahren für das gemeine Volk "off
limits" gewesen war, hinein zu gelangen?
Für mich war das ganz
besonders interessant. Denn 1970/71 - in meinen letzten beiden Schuljahren
- war das US-Depot ein Garant dafür, dass ich immer flüssig war.
Es war ganz einfach. Wenn man
dort einmal als Arbeiter "gelistet" war, d.h. eine Personalnummer hatte.
brauchte man sich nur rechtzeitig frühmorgens am großen Eingangsportal
einzufinden und in die Schlange der Arbeitswilligen zu stellen. Nicht nur
Schüler, auch sog. Wohnsitzlose, denen das Geld knapp geworden war,
warteten darauf, dass sie für einen Tag verpflichtet werden - Tagelöhner.
Es war absolut ideal. Damals galt für uns nur eine eingeschränkte Pflicht
zur Teilnahme am Unterricht. Es war quasi eine Gleitzeitregel. Man durfte
in jedem Schulfach max. 20% der Unterrichtsstunden unentschuldigt fehlen,
kurz gesagt "schwänzen". Heute sage ich: Was für ein Unsinn! Warum sollten
wir unentschuldigt fehlen dürfen? Der Kultusminister muss besoffen gewesen
sein, als er das damals anordnete.
Diese Freizügigkeit war uns
natürlich sehr willkommen. Die meisten von uns nutzten sie natürlich bis
zum letzten Prozentpunkt aus ... aber nicht etwa zum Faulenzen oder für
irgendwelche unsinnigen oder unergiebigen Beschäftigungen. Statt
frühmorgens zur Schule zu gehen, gingen wir "zum Deppo", um dort
von 8.00 bis 17.00 Uhr zu arbeiten - 8,5 Arbeitsstunden und 30
Minuten Pause. Meistens waren wir als "Packer" tätig, deren gewöhnliche
Aufgabe es war, die Container zu befüllen. Dafür gab's 4 Mark pro Stunde.
Die besonders Fleißigen wurden "befördert" zum "Checker". Sie hatten eine
Checkliste in der Hand und kontrollierten den Packvorgang. Manchmal
mussten wir auch Ware ausladen. Ich erinnere mich, dass ich einen ganzen
Tag in einem Güterwaggon arbeitete, in dem zuvor offensichtlich Tiere
transportiert worden waren. Jedenfalls war der Gestank nahezu
unerträglich. Manchmal hatten wir gar nichts zu tun. Denn es geschah nicht
selten, dass viel zu viele Leute eingestellt wurden, so dass man quasi
beschäftigungslos war. Jedenfalls gab's am Abend 34 Mark auf die Hand.
Am 12. November 2016 führte uns
also unsere Samstags-Radtour zunächst zum Haupteingang des US-Depots. Das
große Portal gibt's immer noch. Es war nur zur Hälfte geöffnet. Wir fuhren
da durch, und ich rechnete damit, dass wir jetzt gleich
zurückgepfiffen werden. Aber das geschah nicht! Keiner wollte wissen, wo
wir denn hin wollen. Da ich das vorher gründlich gegoogelt hatte, wusste
ich sehr genau, wo's langgeht. Ich wollte mir unbedingt das "Terminal"
bzw. Empfangsgebäude des früheren Gießener Flughafens (Baujahr 1927)
anschauen. Ich hatte schon sehr viel darüber gelesen und wusste, dass es
noch existierte. Rund 150
Meter hinter dem "Alpine Club", den jeder kennt, stand ich dann direkt
davor. Man kann es übrigens auch von der Rödgener Straße aus sehen. Sogar
die auf den historischen Aufnahmen abgebildete breite Treppe ist noch
vorhanden - etwas heruntergekommen, aber durchaus sanierungswürdig. Das
komplette Gebäude ist eingerüstet. Es wird offensichtlich restauriert.
Scheinbar soll es wiederhergestellt werden. Ich habe gehört, dass der neue
Nutzer bereits feststeht. Das Haus wird wohl in absehbarer Zeit,
vielleicht schon im kommenden Jahr, zum Leben erweckt werden.
(20. Februar 2017)
Unter den alten Fotos, die mein Vater hinterlassen hat, habe ich jetzt ein
Gruppenbild mit 30 Arbeitern entdeckt, die vor einem noch im Bau
befindlichen Gebäude stehen. Erst bei genauerer Betrachtung ist mir
aufgefallen,
dass sich die Gruppe auf der Treppe vor dem Gießener Flughafengebäude
aufgestellt hatte. Die Aufnahme muss also im Baujahr 1927 gemacht worden
sein. Was hatte das mit unserer Familie zu tun? Die Antwort gibt die auf
dem Bild ganz rechts unten abgebildete Person. Es ist mein Großvater
Christoph Lemmer (Jahrgang 1898), von Beruf Weißbinder. Was für eine
Überraschung. |