... EIN TELEFONAT. Wie so viele andere,
die ich um Mitternacht mit meinem Sohn in Montréal geführt habe. In diesem
Gespräch erinnerten wir uns vor allem an unsere Verwandten, Bekannten und
Nachbarn. Und wir riefen ihre Haus- und Spitznamen fröhlich über den
Großen Teich.
Mein Nachbar hinter den Busecker Weiden heißt unter
den Insidern „Holsteiner“. Tante Liesel gehört der Beuerner Familie an,
die „Steffels“ genannt wird. Das große Vorbild meiner Knabenzeit war der
„Paffe“ Alfred.
Ja, auch ich besitze einen solchen Namen. Die Alten
in Beuern, wo ich auf die Welt kam, rufen heute noch „Keiphelebb!“, wenn
sie mich sehen. „Keiphelebb“. Das verstehen nur die, die des
Oberhessischen noch mächtig sind. Allen anderen muss ich es übersetzen:
Keil Philipp. Mein Vater und sein Vater trugen beide diesen Namen. Da sie
aus Hattenrod stammen, besaßen sie in Beuern keinen überlieferten
Hausnamen. Sehr schnell hießen die Männer aus Hattenrod, der „Försteropa“
und der Lehrer Keil, später dann auch ich, „Keiphelebb“. Der Holsteiner
von nebenan, der das irgendwo aufgeschnappt hatte, hat diesen Stempel vor
Jahren auch meinem Sohn Ragnar aufgedrückt. Mein Enkel Gunnar ist in
Buseck schon „Der Kanadier“ genannt worden, weil er in Montréal
aufgewachsen ist.
Als frischgebackener Vater trug ich meinen Sohn sehr
oft in einem großen Henkelkorb spazieren. Einmal waren er, seine Mutter
und ich in Marburg unterwegs. Zu dritt hatten wir am Schloss auf
einer niedrigen Mauer Platz genommen. Marie Pierre und ich genossen ein
großes Eis. Der Lütte genoss sein Fläschchen. Da näherte sich flotten
Schrittes eine Frau, deutete auf den Knirps im Korb und rief: „Doas eas en
Keiphelebb!“ |
In einer Art heiligem Schrecken gab ich zurück: „Ich
sei aach en Keiphelebb!“ Sie lachte mir ins Gesicht: „Wääß ich doch!“ Und
bevor ich fragen konnte, wer sie denn sei, verschwand sie hinter der
nächsten Ecke.
Sehr viel später ging mir endlich ein Licht auf. Die
Frau, die uns im fernen Marburg an der „Schirb“, also am Gesichtsausdruck,
erkannt hatte, war die Beuerner Hebamme „Hinkels Else“, die Nachfolgerin
der noch berühmteren „Hubersch Wäs“.
Wenn mein Enkel das nächste Mal nach Buseck kommt,
werde ich unseren Namen an ihm ausprobieren: „Keiphelebb“.
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